Der dritte Use-Case beschäftigt sich mit einem selbst-balancierenden Personentransporter, welcher umgangssprachlich meist als „Segway“ bezeichnet wird. Ziel dieses Use-Case ist es, eine ganzheitliche, durchgängige und vollständig digitale Beschreibung des Produktlebenszyklus am Beispiel eines Segways zu demonstrieren. Dafür sollen die Teilbereiche Anforderungsabfrage durch eine GUI, Produktentwicklung und -entwurf, Regelung und Montagekonzeptplanung, eine umfassende Kostenkalkulation und Energiebilanzierung digitalisiert und konsistent verknüpft werden. Eine effiziente, multi-kriterielle Evaluation unterschiedlicher Produktvarianten und unterschiedlicher digitaler Montagesystemvarianten soll ermöglicht werden. Im Rahmen dieses Use-Case erfolgen viele studentische Arbeiten und die Erkenntnisse aus diesem Use-Case fließen bereits in die Lehre und Lehrkonzepte ein.

An der Umsetzung für diesen Use-Case sind die Hochschule Reutlingen, die Hochschule Ravensburg-Weingarten, die Universität Stuttgart und die Technische Hochschule Ulm beteiligt. Hier werden folgende Themenfelder gemeinsam er- und bearbeitet:
- GUI
- Produkt: Automatisierte Produktarchitektur und –entwurf
- Regelung: Automatisierte digitale Architektur und Entwurf der Regelung
- Montagesystem: Automatisierte digitale Konzeptplanung von Montagesystemen
- Automatisierte digitale Kostenkalkulation und Energiebilanzierung
- Automatisierte multi-kriterielle Bewertung der Entwurfsergebnisse
- Integration der Teilbereiche zu einem durchgängigen digitalen und ausführbaren Entwurfsprozess
- Lehrkonzepte
Anforderungen
Anhand benutzergetriebener als auch gesetzlicher Anforderungen an den Segway wird das Produkt gemäß diesen Kriterien beeinflusst. Änderungen der Anforderungen manifestieren sich in Parameteränderungen, welche zu einer automatisierten Anpassung des Gesamtmodells des Segways führen. Manuelle Nacharbeit ist damit kaum noch notwendig. Somit können innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Varianten durch Parameteränderungen berechnet und erzeugt werden. Damit kann beispielsweise eine optimale Lösung bezüglich der Kriterien Kosten, Qualität oder Design gefunden werden.
GUI
Am Beispiel der Segway-Entwurfssprache integrieren wir die Ergebnisse des Use Case 5 Advanced / Enhanced Usability in eine umfassende Entwurfssprache. Mithilfe der in der Entwurfssprache bereits vorhandenen Informationen generieren wir ein Formular, welches als Schnittstelle zwischen Endnutzer und Entwurfssprache dient. Die Komplexität der Entwurfssprache bleibt so dem Endnutzer verborgen.
Folgende Abbildung zeigt den automatisch generierten Wireframe der als Startpunkt für den Ablauf der Segway-Entwurfssprache dient.

Das automatisch generierte Eingabeformular folgt allgemeinen Designpattern und Regeln um durch die Auswahl passender Interaktionselemente die Usability des User Interfaces sicherzustellen. Weitere Informationen zum Use-Case 5 finden Sie bald hier.
Produkt
Produktarchitektur: die technische Auslegung der Segwaykomponenten findet auf Basis der Anforderungen des Endkunden statt. Mittels implementierten Variantenmanagement werden mögliche Variantensysteme mit Motoren, Getriebe, Batterien und Batteriemanagementsysteme ermittelt. Das Komponentensystem, welches alle Anforderungen erfüllt und preislich, sowie bei den Bauteilgewichten im Optimum liegt, wird in den nachfolgenden Entwicklungsstufen weiterverwendet.
Packaging: Die ausgewählten Segwaybauteile werden in einer Optimierungsschleife bezogen auf die Drehachse des Segways auf ein Momentengleichgewicht positioniert. Die Optimierung findet in Altair HyperStudy statt. Die Positionen werden zurückgeschrieben und im CAD Programm Rhino 3D aufgebaut, um die Tragrahmengeometrie automatisiert erstellen zu können. Um den Designraum, der in der nachfolgenden Topologieoptimierung des Rahmens benötigt wird zu generieren, werden voll automatisiert die Komponenten aus der Raumgeometrie geschnitten. Zusätzlich werden für jedes Bauteil die optimalen Fügewege zum Endposition im Rahmen ermitteln und ebenso aus dem Volumenkörper geschnitten. Dies geschieht auf Basis des minimalsten Verschnitts im Geometrieraum des Designraums.

Topologieoptimierung: Eine im Use-Case Multicopter entwickelte Bibliothek für die Topologieoptimierung wird auch für den Segway verwendet.

Geometrieerstellung: Das Ergebnis aus der Topologieoptmierung wird automatisiert zu einer Rahmengeometrie generiert, die dann als Basis für einen 3D-Druck dient.

Regelung
Um automatisiert aus der Entwurfssprache eine Simulationsumgebung zum Test der Regelungsalogrithmen abzuleiten, wird zunächst ein Mehrkörpermodell zur Beschreibung der Dynamik des Segway’s abgeleitet. Dies besteht aus einem Satz von Differentialgleichungen, welche in einer entsprechenden Simualationsumgebung gelöst werden können. Eine vereinfachte Beschreibung des Mehrkörpermodells ist in folgender Abbildung zu sehen.

Es wird deutlich, dass zur Parametrierung der Bewegungsgleichungen des Segways entsprechende geometrische Informationen benötigt werden um die Hebelarme sowie die Masseverteilung des Mehrkörpermodells zu beschreiben. Dies lässt sich durch geschickte Erweiterungen der Entwurfssprache zur Geometriebscheibung erreichen und zur Berechnung der Trägheitseigenschaften kann auf die Fähigkeiten verschiedener CAD-Kernels zurückgegriffen werden. Um die implementierten Algorithmen zur Lageschätzung und zur Regelung auch direkt auf der verwendeten Steuerungshardware des Segways zu verwenden, wird das Simulationsmodell entsprechen aufgebaut um sowohl die mathematischen Gleichungen als auch eine abstrakte Beschreibung der verwendeten Sensoren und Aktoren verwenden zu können.

Hier wird gezeigt, wie durch Definition von Datenstrukturen für die Überwachung als auch für die Parametrierung der verschiedenen Algorithmen, die Strecke sowohl als Simulationsmodell als auch als Abstraktion der tatsächlichen Hardware für eine Codegenerierung verwendet werden kann. Um die Übertragung auf echte Hardware zu demonstieren ist in folgender Abbildung ein Testlauf eines skalierten Demonstrators zu sehen.

Montagesystem
Im Use-Case Segway wird für eine ganzheitliche und umfassende Betrachtung des Produktlebenszyklus auch die Montagekonzeptplanung integriert. In der Entwurfssprache für die Konzeptplanung von Montagesystemen wird ein Werkezeug entwickelt, das die Konzeptplanung von Montagesystemen digital ausführt. Dabei ist die automatisierte und digitale Dimensionierung und Strukturierung sowie die Gestaltung (z.B. in Form eines Layouts) und eine multi-kriterielle Bewertung von unterschiedlichen Montagesystemalternativen ein großer Vorteil für die Planung. Dabei gründet es auf der Idee der Digitalen Fabrik, so findet sich im UML-Klassendiagramm für die Montagesystemplanung das grundlegende Datenmodell der Digitalen Fabrik „Produkt, Prozess, Ressource“ (vgl. VDI RL 4499).

Dimensionierung und Strukturierung
Input für die Montagesystemplanung ist die aus dem Produktmodell generierten Stückliste und abgeleitete Montageprozessreihenfolge. Weitere Eingangsparametern für die Auslegung von Montagesystemen (z. B. die zu montierende Stückzahl pro Jahr, Schichtdauer pro Schicht, Anzahl Arbeitstage pro Jahr) bilden den Rahmen für die Auslegung. Im ersten Schritt wird somit die Prozesskette für die Montage generiert. Für die Kalkulation der Montagezeiten kann zunächst automatisiert eine vereinfachte MTM-Ermittlung der Zeiten erfolgen. Alternativ können auch schon bestehende Montagezeiten verwendet werden. Basierend auf dieser Prozesskette und den Eingabeparametern werden nun unterschiedliche Grundtypen von Montagesystemen dimensioniert. Dabei wird ermittelt, wie viele Arbeitsstationen und Werker für die Erfüllung der gewünschten Tagesproduktionsmenge unter Berücksichtigung der eingegebene Parameter erforderlich sind. Jeder dimensionierte Grundtyp wird nun um die erforderlichen und passenden Ressourcen aus der Ressourcenbibliothek erweitert. Dabei können unterschiedliche Ressourcentypen verwendet werden. Als weiteren Schritt der Strukturierung wird die Verkettung der Montagelinien ausgestaltet. Hier entstehen weitere Alternativlösungen, so können die einzelnen Arbeitsplätze einer Linie entweder direkt verbunden sein oder beispielsweise über ein Rollenband.

Gestaltung
Im Zuge der Gestaltung der Konzeptalternativen für die unterschiedlichen Lösungen für die Montagesysteme wird nun das jeweilige Layout erstellt und die benötigte Fläche berechnet. Die Platzierung der benötigten Materialien an den einzelnen Montagearbeitsplätzen nach ergonomischen Gesichtspunkten erfolgt ebenfalls. Abschließend wird für jede Systemalternative nochmals eine aktualisierte Berechnung der ggf. eine Anpassung der Montagezeit und eine Berechnung der Durchlaufzeit durchgeführt. Eine statische Investitionsrechnung für die Ressourcen ist ebenfalls integriert, um so die Montagekosten als Bestandteil der Herstellkosten zu berechnen. Abschließend werden die ausgelegten Montagesystemalternativen einer multi-kriteriellen Bewertung unterzogen, um so die im Entwurfsraum entwickelten Lösungsalternativen z. B. in Hinblick auf Montagekosten, Flächenbedarf und Durchlaufzeit zu bewerten.
Kostenkalkulation
Im Use-Case Segway werden zum ersten Mal Kosten explizit im Detail betrachtet. Für die monetäre Bewertung eines Produktes und seiner Herstellung wurde eine Bibliothek entwickelt, welche sich auch auf alle anderen Projekte in diesem Kontext anwenden lässt. Durch die Modellierung von Kosten im Entwurfsprozess können diese bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Produktlebenszyklus eingeschätzt werden. Außerdem werden die Kosten damit transparenter dargestellt.
Die Siemens Software Teamcenter Product Cost Management kann mit der Kostenmodellierung im UML-Modell automatisiert eine umfangreiche Kostenkalkulation erstellen
Energiebilanzierung
Mit der Software GaBi wird anhand des Segways eine Energiebilanzierung durchgeführt, welche ebenfalls ins Gesamtmodell integriert wird und damit die Energiebilanzierung für jegliche Produktvarianten automatisiert generiert. Damit ist es möglich, einzelne Bereiche des Produktlebenszyklus hinsichtlich der Energiebilanz zu bewerten und gegebenenfalls zu optimieren.
Lehrkonzept
Rahmen von Projekt- und Abschlussarbeiten sind mehrere Varianten von Segways sowohl digital als auch praktisch entstanden. Ebenfalls sind mehrere Projekt- und Abschlussarbeiten zur digitalen Montagesystemplanung und deren Teilbereiche für den Segway entstanden. Mehrere Vorlesungsreihen beschäftigen sich darüber hinaus mit dem Einsatz des Tools DC 43 und des digitalen Produktentwurfs. Hier dient der Segway als Einführungsbeispiel.